„Für alle alternativen Antriebe der automobilen Zukunft“
Auswuchttechniker von Schenck RoTec sind Technologiepartner der E-Mobility-Hersteller
Automobil-Industrie und Bundesregierung beginnen nun mit der Ausarbeitung eines Masterplans für die Installation von Stromtankstellen für über zehn Millionen Elektrofahrzeuge. Der Entwicklung alternativer Antriebskonzepte wird das erneut einen deutlichen Innovationsschub verleihen. Das erwarten auch die Auswucht- und Schleudertechnik-Ingenieure von Schenck RoTec, die seit Jahren mit den führenden Herstellern batterie- und brennstoffzellengestützter Elektroantriebe im engen Kontakt stehen. Im Interview informieren Projektberater Andreas Buschbeck und E-Mobility-Spezialist Peter Böhm über aktuelle Trends und Fragen aus ihrer Arbeit mit den Motorenbauern der E-Generation.
Der neue Masterplan von Politik und Autoindustrie sieht nun erstmals den systematischen Aufbau eines landesweiten Zapfsäulen-Netzwerks für Elektrofahrzeuge vor. Wird das auch Einfluss haben auf Ihre Arbeit im Bereich der Auswucht- und Schleudertechnik?
Buschbeck: Kurzfristig vermutlich nicht, aber mittelfristig rechne ich schon damit, dass die Berliner Masterplan-Entscheidung vom Juni 2019 die Entwicklungs- und Engineering-Aktivitäten der Hersteller alternativer Antriebssysteme erheblich dynamisieren wird. Und dass sich hier etwas tut, nehmen wir im Technischen Consulting von Schenck RoTec schon jetzt wahr. Insbesondere, weil uns die eDrive-Hersteller ja meist schon sehr früh in ihre Entwicklungsprojekte mit einbinden.
Böhm: Dem kann ich mich nur anschließen. Mein Tagesgeschäft als Produktlinienmanager eMobility wird das vermutlich insofern beeinflussen, dass sich die technischen Anforderungen der Motorenbauer an die Auswucht- und Schleudertechnik weiter konkretisieren werden. Wenn der Masterplan gelingt, könnte das zu spürbaren Impulsen für den Aufbau automatisierter und großserien-orientierter eDrive-Produktionslinien führen. Das hätte per se einen deutlichen Effekt für die Nachfrage nach Auswucht- und Schleuderanlagen, die hierbei eine unverzichtbare Prozessstufe der Qualitätssicherung darstellen.
Welche Anforderungen richten denn die Hersteller batterie- und brennstoffzellengestützter Elektroantriebe vorrangig an Sie?
Böhm: Unsere Kunden sind hier sowohl die OEMs als auch große Systemintegratoren und Zulieferer der Ebenen Tier 1, 2 oder 3. Sie alle verbindet zunächst der primäre Wunsch nach hochperformanten und flexiblen Automatisierungslösungen zum präzisen und schnellen Auswuchten, Ausgleichen oder Schleudern von Bauteilen oder Baugruppen. Im Einzelfall kommt es dann darauf an, von welcher Art die zu prüfenden Rotoren sind und auf welche Weise das Auswuchten oder Schleudern in den Entwicklungs- oder Produktionsprozess integriert werden soll…
Buschbeck: …wobei sich für einige Hersteller oder Zulieferer hiervon noch kein ganz klares Bild abzeichnet, da sich ja die ganze Branche derzeit noch in einem Orientierungs- und Transformationsprozess befindet. Manche eMobility-Linie ähnelt noch eher einer Manufaktur als einer modernen Serienproduktion. Aus der Sicht der Auswucht- und Schleudertechnik ist dabei zu beobachten, dass der Bereich eDrives weiter vorangeschritten ist als der Bereich Brennstoffzelle. Hier gibt es noch erheblich mehr Klärungsbedarf.
Können Sie diese Problematik anhand praktischer Beispiele veranschaulichen?
Böhm: Bei den eDrives – also den automobilen Elektromotoren – weiß man inzwischen recht genau, welche Rotorbauformen zu wuchten und schleudern sind, bevor sie in die Serie gehen. Ausgewuchtet werden müssen hier vorrangig komplette Elektroanker, also Paket plus Welle, sowie rotorförmige Hybridapplikationen ohne Wellenzapfen. Die Anforderungen an die Unwuchttoleranzen liegen in der Größenordnung von 1,0 Mikrometern Exzentrizität und hinsichtlich der Stückzahlen rechnen wir mit einem Bedarf von bis zu einigen hunderttausend Elektroankern jährlich – je nach Hersteller. Produktionstechnisch können wir diese Anforderungen mit schnell taktenden, vollautomatisierten Mehr-Stationen-Anlagen abdecken, die Elektroanker im Minutentakt auswuchten. Für den Einsatz in Forschung und Entwicklung stellen wir den Herstellern hingegen Auswuchtanlagen zur Verfügung, die sich einfach auf verschiedene Rotorgrößen justieren lassen. Das Schleudern ist hingegen für alle Rotoren relevant, die sich im Betrieb unter hohen Fliehkräften nicht dauerhaft verformen oder gar bersten dürfen. Die Dimensionierung eines Schleuderstands richtet sich nicht allein nach der Rotorgröße, sondern auch nach Zusatzanforderungen wie etwa dem Aufheizen oder den Messungen der Durchmesser- Aufweitungen bei hohen Drehzahlen.
Und wie ist die Situation im Bereich der brennstoffzellengestützten Elektroantriebe?
Buschbeck: In diesem Segment der E-Mobility haben sich die Anforderungen an den Auswuchtprozess in der Serienproduktion noch nicht klar herauskristallisiert. Hier stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Brennstoffzellen-Verdichter nieder- oder hochtourig ausgewuchtet werden müssen. Zudem sind in diesem Bereich weitgehend ölfreie Lagerungskonzepte zu berücksichtigen. Wir haben es hier meist mit Luftlagerung zu tun. Denn nur so ist ausgeschlossen, dass Öl über den Verdichter in den Brennstoffzellenprozess gelangen und dessen Funktion beeinträchtigen kann. Das Auswuchten muss darauf abgestimmt sein. Des Weiteren beschäftigt uns in diesem Bereich die Frage, ob sich – wie bei den eDrives – komplette Baugruppen auswuchten lassen oder ob man in mehreren Etappen einzelne Bauteile wie etwa die Verdichterräder auswuchten muss.
Gibt es auch analoge Entwicklungen und Anforderungen zwischen den beiden E-Mobility-Segmenten?
Böhm: Ja, es gibt durchaus Aspekte, die für beiden Richtungen gleich oder zumindest ähnlich liegen. Sowohl beim Auswuchten von eDrive-Rotoren als auch von Brennstoffzellen-Komponenten sind kleinste Unwuchttoleranzen gefordert und in beiden Bereichen werden die Stückzahlen in Zukunft deutlich steigen. Hohe Präzision, einfache Bedienung und Prozessschnelligkeit gehören daher zu den wichtigsten Basisanforderungen beider Segmente. Eine weitere Analogie ist die Forderung der Hersteller nach der Bereitstellung von Alternativen beim Ausgleichsverfahren. Bei der Entwicklung unserer neusten Maschinen für die E-Mobility legen wir daher großen Wert darauf, dass der Anwender zwischen mehreren Methoden wählen kann, um den Ausgleich der diagnostizierten Unwucht vorzunehmen. Also etwa sowohl das axiale Bohren und das radiale Bohren als auch das Fräsen oder das automatische Stifte stecken. Das entspricht dem Wunsch der Hersteller nach hoher Flexibilität.
Buschbeck: Diesen Wunsch teilen auch die Hersteller von Hybridsystemen, bei denen ja zwei Antriebe unterschiedlicher Gattungen miteinander kombiniert werden. Allerdings müssen in diesem Bereich oft Rotoren ohne Wellenzapfen oder topfähnliche Bauformen ohne Wellen gewuchtet werden.
Grundsätzlich wird ja der Wechsel zu neuen Formen der Alltagsmobilität auch zu strukturellen Veränderungen im allgemeinen Maschinenbau führen wird. Sehen Sie im Wechsel vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antriebsformen eher die Risiken oder vorrangig eine Chance?
Buschbeck: Wenn Sie mich so direkt fragen, dann sehe ich in den anstehenden Veränderungen eher Chancen. Der Aufwand für das Auswuchten von Kurbelwellen ist zwar eher höher als das Auswuchten eines Elektroantriebs – also scheinbar ein Risiko. Mit dem Konzeptwechsel sind allerdings nun auch weitere Aggregate auszuwuchten, deren Auswuchtgüten besser werden müssen, beziehungsweise Rotoren, die bislang nicht ausgewuchtet wurden – wie etwa Klimakompressoren.
Böhm: Ich nehme diesen Wechsel an große Chance wahr. Mit unserem Knowhow und den Möglichkeiten unseres technischen Consultings haben wir den Finger immer direkt am Plus unserer Kunden. Dies eröffnet uns auch die Möglichkeit, zukünftige Trends und Anforderungen in neue Produkte umzusetzen. Sicherlich darf man auch hier die Risiken nicht außer Acht lassen, aber ich blicke da positiv in die Zukunft.
Wie würden Sie denn aus heutiger Sicht die Position von Schenck RoTec im internationalen Wettbewerb um die Gunst der Hersteller von batterie- und brennstoffzellengestützten Elektroantrieben einschätzen?
Böhm: Mit weltweit nahezu 100 installierten Auswuchtsystemen in den eDrive-Linien namhafter OEM und Tier-One-Zulieferer dürfen wir uns sicher als Marktführer im Segment eMobility sehen. Und mit unseren Maschinen der neusten Generation – etwa der eTENO – haben wir unsere technologische Spitzenposition in diesem Segment der alternativen Antriebstechnik abermals erheblich gefestigt oder sogar ausgebaut. Zudem besetzen wir mit den Leistungen unseres Technischen Consultings wichtige Schlüsselfunktionen für die Entwicklung branchen- und produktspezifisch ausgelegter Auswucht- und Schleuderlösungen für alle alternativen Antriebslösungen der automobilen Zukunft.
Wir dürfen wir uns das praktisch vorstellen?
Buschbeck: Sobald ein Konstrukteur einen neuen eDrive-Rotor entwirft, muss er ja wissen, wie sich dessen Gestalt und Masse schwingungstechnisch verhält und wie sie sich auswuchtgerecht optimieren lässt. Bereits beim Design der ersten Zeichnungen können wir ihn mit Tipps zur Unwuchtreduzierung unterstützen, indem wir schon im Vorfeld verschiedene Berechnungen anhand der Zeichnungen erstellen und auch damit richtungsweisende und wertvolle Hinweise zur Optimierung der Konstruktion geben. Wir werten die Zeichnungen aus, berechnen die zu erwartende Unwucht und identifizieren die dafür verantwortlichen Merkmale. Der Konstrukteur erhält von uns das individuelle Unwuchtbudget seines Rotors und kann darauf basierend Qualitätsverbesserungen und Laufzeitoptimierungen vornehmen. Im Prototypenstatus können wir dann Unwucht- und Verformungstests durchführen und erste Batches in einem unserer Auswuchtzentren auswuchten.
Böhm: Dieses Prozedere gehört inzwischen zu den Standards in der Zusammenarbeit mit namhaften eDrive-Herstellern. Das hierbei gewonnene Knowhow über die immer schneller drehenden eMobility-Antriebe – bis zu 30.000 U/min werden ja derzeit anvisiert – und die Erwartungen der Kunden hinsichtlich der Flexibilität und Effizienz der Auswucht- und Schleuderprozesse fließen auch ständig mit ein in die Realisierung unserer neuen Maschinen für den Einsatz in den Entwicklungslabors, in der Serienproduktion oder im Wartungsbereich.
Herr Böhm, Herr Buschbeck – wir danken Ihnen für das Gespräch.
1.344 Wörter mit 10.461 Zeichen (inkl. Leerzeichen)
((Infobox))
Für alle Etappen des Produktlebenszyklus von eDrives
Ob Prototyp oder Serienteil – die Elektroanker der Synchron-, Asynchron- und Gleichstrommotoren für Hybrid- oder E-Fahrzeuge sollen schwingungsarm laufen und eine maximale Lebensdauer erreichen. Wie andere Rotoren auch müssen sie daher mit hoher Genauigkeit ausgewuchtet und ausgeglichen werden. Allerdings, und da wird es dann kniffelig, kommt so ein Elektroanker als komplexe Baugruppe mit Läufer, Welle, Wicklung und Käfig daher. Hinzu gesellen sich typenspezifische Unterschiede in der Konstruktion, bei den Dimensionen, den eingesetzten Werkstoffen und vieles andere mehr. Seit vielen Jahren schon werden die Auswuchtexperten von Schenck RoTec daher von den Motorenbauern in die Entwicklung batterie- und brennstoffzellengestützter Elektroantriebe eingebunden. Inzwischen deckt das Unternehmen mit seinen Auswuchtmaschinen (auch für magnetisierte Rotoren) und Schleuderständen alle Etappen des Produktlebenszyklus von E-Mobility-Antrieben ab – von der Entwicklungsarbeit über die Serienproduktion bis hin zu Reparatur und Instandhaltung.
137 Wörter mit 1.097 Zeichen (inkl. Leerzeichen)